CODA
Bachs Cello-Suite in c-moll
Wer seine Kultur verliert, verliert sich selbst.
Mario Vargas Losa
Ensemble
Projektleitung/Regie: J.U.Lensing
Choreografie: Jacqueline Fischer
Musik: Johann Sebastian Bach / Thomas Neuhaus
Video: Tobias Rosenberger
Cellistin: Beate Wolff
Tänzer/Darsteller: Nina Hänel, Phaedra Pisimisi
KBB: Claudia Bisdorf
Kostüme: Caterina Di Fiore
Szenografie: J.U. Lensing
Über die Produktion
Das THEATER DER KLÄNGE beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit intermedialen Formen von Tanz, elektronischer Musik und interaktivem Live-Video.
Als Fortsetzung der elektronisch-intermedialen Arbeiten HOEReographien und SUITE intermediale wurde für die Spielzeit 2013/14 eine neue Arbeit mit dem Titel „CODA – Bachs Cello Suite in c-moll“ entwickelt.
Der Fokus der Arbeit in CODA lag bei den tänzerischen Interaktionsmöglichkeiten mit Licht und Video.
J.S. Bachs Musik – und da insbesondere die Tanz-Cello-Suiten – sind in sich schon ein Werk der Variation über in ihrer Zeit „alte“ Tänze. Bach nutzt die Möglichkeit des über den praktischen Zweck hinaus Gehens zu Erweiterungen, Variationen und kontrapunktischen Reflektionen über damals noch bekannte Tanzformen. Diesen Ansatz aufgreifend und mit heutigen inszenatorischen, wie musikalischen Mitteln fortführend, entstand zu den sechs Cello-Sätze von Bach durch Tanz und komponiertes Licht eine visuelle Musik in der Struktur der Bach´schen Musik.
Die barocke Musikvorlage inspiriert zu Bezugnahmen auf die sehr geometrischen Tanzformen des Barock, ebenso, wie auf Ornamentik im Licht, die wiederum modern den tanzenden Körper als bewegte Bildfläche nutzt. So entstand ein sehr sinnliches Historie überbrückendes Gesamtkunstwerk aus Tanz zu Bach´scher Cello Musik in einer sehr modernen bewegten Lichtumsetzung auf der Grundlage barocker Tanzformen, wie Allemande, Sarabande oder Gigue.
In zweiten Teil des Programms wurden die 6 Tanzsätze der Cello-Suite wiederholt. In der Wiederholung waren aber die Tänzerinnen durch ihre Bewegungen gleichzeitig auch Musikerinnen einer elektronischen Musik, die die Bach´sche Musik zum musikalischen Material nimmt, welches durch Bewegungsdynamik elektronisch erspielt wird. Die daraus resultierende mediale Musik steuerte direkt auch die interaktiven Videobespielungen der Theater-Szenografie, welche wiederum barocke szenische Ansätze zitiert.
CODA in der Presse
Ein Popstar namens Bach
(…) Am Anfang gehört die Bühne der famosen Cellistin Beate Wolff. Sie hat mit ihrem Instrument auf der linken Seite Platz genommen. Konzentriert spielt sie Bachs Cello Suite, werkgetreu, präzise. Nach wenigen Minuten kommen die zwei Tänzerinnen hinzu. Nina Hänel und Phaedra Pisimisi. Sie beginnen die Klänge zu verwandeln.
Töne werden Bewegungen, dann entstehen Bilder. Mit Licht malen die Füße der Frauen Linien auf den Boden. Ihre Schritte sind den höfischen Tänzen der Suite entnommen, Sarabande, Allemande, Courante und Gigue. Erst zeichnen sie streng geometrische Formen, dann gesellen sich Schnörkel, Kringel und Ornamente hinzu, sachlich trifft verspielt. Das sieht wunderschön aus und ist nicht weniger als ein kleines Wunder. Wer zuvor bezweifelt hatte, dass man Barockmusik malen kann, gibt sich unter der Beweislast geschlagen. Am Ende des ersten Teils bauscht sich das Licht wie der Rock der Tänzerinnen, es fließt und weht, züngelt wie Feuer die Wände empor. Ein Flammenmeer in rot und gelb.
Der Abend ist auf mutige Art und Weise gegen die Hektik der Zeit gebürstet. Er ist umwerfend ästhetisch. Er ist ruhig, manipulativ, ja fast hypnotisch. Warum er aber „Coda“ heißt, versteht man erst im zweiten Teil nach der Pause. Coda, also auf italienisch Schwanz, bezeichnet den Ausklang eines Musikstücks, den Part, der ein Werk am Ende zusammenfasst.
Cellistin Beate Wolff macht Pause. Die Musik kommt jetzt aus Lautsprechern: elektronische Beats, die schnell sind, aber nicht hektisch. Klänge und Bewegungen werden in opulente Bilder auf die Hinterwand der Bühne übertragen. Irgendwann erahnt man Mauern aus Licht, eine Kirche vielleicht. Der Blick fällt durch einen Gang in einen öffentlichen Garten.
Das Erstaunliche: Das, was wir hören, ist immer noch Bach, dekliniert bis zum Ende der technischen Möglichkeiten. Und so wird aus dem alten Herrn letztlich unser Zeitgenosse: Bach der Popstar, wild, frei und heutig.
Petra Kuiper, Neue Rhein Zeitung
Videokunst zu Musik von Bach
In seinem neuen Stück widmet sich das THEATER DER KLÄNGE dem Erbe der Musik Johann Sebastian Bachs und den Tanzformen des Barock. Man fühlt sich zunächst an einen Hof versetzt, der Tanz ist respektvolle Konversation, Ausdruck und Etikette. Das ändert sich jedoch schnell. Kurvenbewegungen fließen hinein. Die Tänzerinnen experimentieren. Unterstützt werden sie dabei von Licht, das in unterschiedlichen Mustern auf die Bühne projiziert wird. So ragen einmal nur die Arme heraus, der Rest des Körpers bleibt im Dunkeln.
Die Macher von „CODA“ spielen gekonnt mit den Bildern, die sich aus Licht und Schatten ergeben. So entsteht eine surreale Welt vor den Augen des Betrachters, in der die Tänzerinnen Formen wie die eines Eisbergs oder eines Pendels einnehmen.
Drastischer wird das noch im zweiten Teil des Stückes. Die Töne sind wilder, Bachs Klänge werden elektronisch verfremdet und verlängert. Es beginnt mit einem Echo des Cello-Spiels und weitet sich aus zu einem insektenartigen Surren. Ein anderes Mal zieht ein großer Sturm auf. Dann wieder scheint die Musik einen reißenden Fluss zu beschreiben. Verstörend ist das manchmal, aber gut umgesetzt.
Wie aus einem Fiebertraum wirken die Videobilder, die dabei auf die Bühne geworfen werden. Raumkonstanten verschieben sich auf ihnen. Das Gefühl kurz vor der Ohnmacht wird greifbar. Die Tänzerinnen erscheinen mal als Gefangene, mal als Bezwingerinnen des Lichts, der Lichtstreifen, die sie umgeben, wie ein Netz.
Leichte Kost ist das nicht. „Coda“ richtet den Blick auf eine Welt, die aus den Fugen geraten ist. Für die Wirrheit gibt es keine Auflösung, den Schlusspunkt bildet eine Aufnahme von Flammen, in denen die Tänzerin aufgeht. Das Publikum dankt mit Trommelapplaus.
Verena Patel, Rheinische Post
Die verlorene Symmetrie
Johann Sebastian Bach als Ballettkomponist – ein größerer Gegensatz ist kaum vorstellbar. Dennoch waren schon viele seiner Stücke Grundlage für Choreografien. John Neumeier hat sogar aus der „Matthäus-Passion“ mit dem Hamburg Ballett einen berühmten Tanztheaterabend gemacht. Nun bringt das Theater der Klänge in Düsseldorf die Cellosuite in c-Moll mit zwei Tänzerinnen auf die Bühne. „CODA“ heißt das Stück.
Der Abend beginnt wie ein Kammerkonzert. Die Cellistin Beate Wolff tritt auf, verneigt sich kurz und spielt das Prélude aus Bachs Cellosuite in c-Moll. Erst in den folgenden Sätzen treten zwei Tänzerinnen auf, ganz in weiß, gemessenen Schrittes. Ihre Füße scheinen Spuren auf dem Bühnenboden zu hinterlassen. Es sind Videoprojektionen, die live zu ihren Bewegungen eingespielt werden. Auf dem Boden entsteht ein symmetrisches Muster. Es entspricht den Ballettnotationen des Tanzmeisters Raoul-Auger Feuillet. Was heute vom Tanzstil des Barock bekannt ist, beruht weitgehend auf seinen Schriften, die am Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden.
Ensemble mit Forschungsdrang
Das Erforschen historischer Theaterformen ist ein Grundinteresse des Theaters der Klänge in Düsseldorf. Vor Kurzem hat das Ensemble seinen 25. Geburtstag gefeiert. Der Titel des neuen Stücks „CODA“ verweist auch auf die Geschichte der Gruppe. Es ist ein Anhängsel, etwas, das noch gesagt, gespielt, getanzt werden muss. Nach vielen Stücken, in denen die Intermedialität im Vordergrund stand. Mit einer vorher bestehenden Musik hat sich das Theater der Klänge lange nicht beschäftigt. Bachs Cellosuiten reizten Regisseur Jörg U. Lensing, weil die Titel der Sätze barocke Tänze zitieren, aber keine Tanzmusik sind.
So wie Bach über die Tänze der Barockzeit nachdachte und ihren Charakter veränderte, beschäftigt sich das Theater der Klänge nun mit der Cellosuite. Nach dem ersten Durchlauf gibt es eine kurze Pause. Dann beginnt die Solistin erneut, ihr Instrument ist nun elektronisch verstärkt. Und nicht nur das, es entstehen Echos, Klangreflexionen, Verzerrungen. Der Komponist Thomas Neuhaus sitzt am Computer und mischt die Klänge live zum Spiel der Cellistin. Das Material ist festgelegt, es gibt aber auch Spielraum für Improvisationen. Die Musikerin und der Mann am Laptop reagieren aufeinander. Auch die Tänzerinnen können in Jacqueline Fischers Choreographie durch ihre Bewegungen auf die Einspielungen Einfluss nehmen.
Barock in Auflösung
Die barocken Formen lösen sich auf. Der Videokünstler Tobias Rosenberger wird immer aktiver. Seine Projektionen sind die einzige Lichtquelle, die Scheinwerfer im Theater bleiben aus. Über eine liegende Tänzerin schickt er Bilder von Gittern, die sich gummiartig verbiegen und schließlich Strahlen wie in einem Science-Fiction-Film, wenn Raumschiffe schneller fliegen als das Licht. Mal sind nur einzelne Körperteile im Licht, Hände, das Gesicht. Die Körper der Tänzerinnen Nina Hänel und Phaedra Psimisi werden fragmentiert und wieder zusammen gesetzt. Die Bilder lassen sich nicht rationalisieren oder in Worte fassen. Auf jeden Fall ist „CODA“ eine vielschichtige, respektvolle Konfrontation barocker Kunstformen mit der Gegenwart.
Stefan Keim, www.deutschlandradiokultur.de