Figur und Klang im Raum
Eine polyphone szenische Bühnenkomposition
man sei so unvoreingenommen wie möglich; man nahere sich den dingen, als ware eben erst die welt erschaffen worden; man reflektiere eine sache nicht zu tode, sondern lasse sie, zwar behutsam, aber frei, sich entfalten. man sei einfach, nicht dürftig (Einfachheit ist ein großes Wort); man sei lieber primitiv als verschnörkelt oder geschwollen; man sei nicht sentimental, aber man habe statt dessen geist. damit ist alles und nichts gesagt!
Oskar Schlemmer
Das Ensemble
Eine Koproduktion des Theaters der Klänge mit dem Bauhaus Dessau.
Besetzung der Uraufführung am 25. März 1993 im Bauhaus Dessau
Darsteller: Clemente Fernandez, Jacqueline Fischer, Jean-Jacques Haari, Kerstin Hörner,
Maria-Jesus Lorrio, Heiko Seidel, Ismini Sofou
Stück-Autor: Jörg U. Lensing
Co-Autor Musik: Thomas Neuhaus
Co-Autor Lichtgestaltung: Jürgen Steger
Dramaturgie: Dr. Andreas Bossmann
Inszenierung: Jörg U. Lensing
Regieassistenz: Monic Wollschläger
Musik + Tontechnik: Thomas Neuhaus
Software:
Echtzeit-Kontrollsystem: Thomas Neuhaus, AUDIAC-Software: Markus Lepper
GAMS-Software: Will Bauer, Licht- und Projektionsgestaltung: Thomas Neuhaus
Dia-Projektionsgestaltung: Jürgen Steger
Lichtdesign: Jürgen Steger, Jörg U. Lensing
Lichttechnik: Kai Mönnich, Sascha Hardt
Kostüme: Kerstin Uebachs, Catherina di Fiore
Bühnenbild: Jürgen Steger
Administration: Sabine Lückmann
Öffentlichkeitsarbeit: Ernst Merheim
Fotos: Sascha Hardt
Trainingsleitung
Stimme: Clemente Fernandez
Tanz + Biomechanik: Jacqueline Fischer, Kerstin Hörner
Akrobatik: Jean-Jacques Haari
Musik: Jörg U. Lensing
Rhythmus: Maria-Jesus Lorrio
Krafttraining: Ismini Sofou
Das szenische Material zum Stück „Figur und Klang im Raum“ wurde in kollektiver und unverzichtbarer Zusammenarbeit der Ensemblemitglieder des Theaters der Klänge – Clemente Fernandez, Jacqueline Fischer, Kerstin Hörner, Jörg Lensing, Maria-Jesus Lorrio, Thomas Neuhaus, Heiko Seidel, Ismini Sofou und Jürgen Steger, sowie Jean-Jacques Haari als Gast entwickelt.
Für die zeitweise praktische Gast-Mitwirkung danken wir Michael Popp und Petra Speh.
Über die Produktion
Ausgehend von den systematischen Bühnen-Versuchen Oskar Schlemmers in den zwanziger Jahren am Bauhaus, ging das Theater der Klänge mit „Figur und Klang im Raum“ ein Theater-Forschungsprojekt an, welches sich mit den „Bühnengesetzen“ von Darstellung, Raum und Klang beschäftigt.
Oskar Schlemmer hat sich am Dessauer Bauhaus insbesondere in den Jahren von 1925 bis 1928 systematisch mit einer „Grammatik der formalen Bühnenelemente“ beschäftigt, welche in mehrere „kleine Bauhaus-Tänze“ mündeten. Obwohl es zu den meisten Stücken Schlemmers eine Musik gab, wurde seinerzeit jedoch auf eine systematische Erforschung der Gesetze von Klang im (Theater-) Raum verzichtet, da sich kein kooperierender Komponist fand und Schlemmer selbst weder Komponist, noch Sprachregisseur war.
Das Theater der Klänge beschäftigte sich 1992/93 zunächst mit Oskar Schlemmers Theorie von „Mensch und Figur im Raum“ und eignete sich die Ergebnisse seiner diesbezüglichen Theaterversuche zum Teil praktisch an. Parallel dazu wurde eine prototypische elektronische Installation von Mikrophonen, Lichtschranken und Ultraschallsensoren, die der Komponist Thomas Neuhaus für das Theater der Klänge entworfen hatte, in den Probenprozess integriert. Diese Installation ermöglicht eine direkte Steuerung von elektronischer Musik und Licht durch das akustische und bewegte Geschehen auf der Bühne, also durch die Darsteller selbst.
„Polyphone, szenische Bühnenkomposition“ meint dabei die zeitliche Gestaltung mehrschichtiger Abläufe im Theaterraum. Die verschiedensten Theaterelemente wie Licht, Klang, Bewegung, Farbe, Gestik und Mimik werden als Einzelparameter verstanden und werden so aufeinander bezogen komponiert, daß erst die Summe der Parameter das Theaterereignis in der Zeit schafft.
Das Stück entstand in Koproduktion mit dem Bauhaus Dessau. Es erwies sich, insbesondere durch den damals vergleichsweise hohen technischen Aufwand, als sehr schwerfällig in der Probenrealisation, weswegen das Theater der Klänge diesen Weg nach 1993 zunächst für 7 Jahre nicht fortsetzte, sondern sich wieder „traditionelleren“ Theatermitteln zuwandte. Nicht desto trotz erlebte „Figur und Klang im Raum“ insgesamt 32 Aufführungen in 8 Städten im In- und Ausland und war in einer überarbeiteten Fassung zusammen mit dem „mechanischen Ballett“ von 1994 bis 1998 Bestandteil des Doppelprogramms „Tanz am Bauhaus“, welches ebenfalls Gastspiele in Belgien, Frankreich und Israel erlebte.
Im Jahr 2000 mündeten Überlegungen zur Wiederaufnahme von „Figur und Klang im Raum“ in ein 3-Personen-Stück namens „Manifest“, welches über fünf Entwicklungsjahre hinweg über die Produktionen „Megalopolis“ und „Modul|a|t|o|r“ zum interaktiv, intermedialen Forschungsprojekt „PCI – HOEReographien“ im Jahr 2005 mündete. Der entwickelte Ansatz wurde über die „HOEReographien SUITE“ (2009) zur „SUITE intermediale“ (2010) weiterentwickelt und war zuletzt partiell Bestandteil von szenischer Interaktion in den Stücken „VANITAS“ (2012), „CODA“ (2014) und „Das Lackballett“ (2019).
Figur und Klang im Raum in der Presse
Keine Angst! So spröde, wie sein Titel befürchten läßt, ist dieser Abend keineswegs. Das achtzigminütige Spektakel, läßt seinen geistreichen Vater Oskar Schlemmer gleich zu Beginn ausführlich zu Worte kommen. Zitiert wird er von einem jungen Mann im weißen Hemd und schwarzer Fliege, der sich wie eine Conferencier eines verunglückenden Bunten Abends immer wieder im prompt verlöschenden Scheinwerferkegel postiert, Ärger mit dem nicht funktionierenden Mikro hat, schließlich aber doch ganz locker ein paar Sätze Schlemmer („Man sei so unvoreingenommen wie möglich!“) ans Publikum richtet. Kaum ist er wieder fort, nehmen sechs Gestalten in breitschultrig ausgepolsterten Trikots seinen Platz ein. Vor einer Leinwand, über die Ziffern, Wörter und geometrische Figuren wandern, schreiten sie in kurzen, abgezirkelten Bahnen über ein auf die Bühne gemaltes Muster aus weiß umrandeten Quadraten und Diagonalen. Begleitet werden ihre eckigen Bewegungen von einer Klang- und Geräuschcollage, die aus mehreren vor und hinter den Zuschauern postierten Lautsprechern dringt. Zwischendurch zischelt man einander, wie ratlos und hilfesuchend, Satzfetzen zu. Dann wieder brabbeln zwei in einer völlig unverständlichen Phantasiesprache oder scheinen den Boden durch Aufstampfen die seltsamsten Töne zu entlocken. Und schließlich wirbeln alle sieben Mitwirkenden durch einen Reigen flüchtig angedeuteter Rollen-Spiele, die vom scheuen Flirt zum heftigen Konkurrenzkampf, von der plumpen Anmache zur rotzigen Abfuhr reichen. Besonders in solchen Augenblicken erweist sich die neue Produktion nicht nur als eigenwillig und ehrgeizig, sondern als fraglos brilliant. Das multinationale Ensemble überzeugt durch tänzerische Präzision; und nicht weniger Respekt fordert einem das hohe technische Niveau der Licht- und Tonmischung ab.
Rheinische Post
„Figur und Klang im Raum“ nennt das Theater der Klänge sein perfektes High-Tech-Spektakel, mit dem es die Premierenbesucher in einen vibrierenden Klangrausch versetzte. Die unsichtbare elektronische Steuerung verlängert das natürliche Stimmvolumen der menschlichen Stimme und entfacht eine an technischer Perfektion kaum zu überbietende Licht- und Klang-Schau. Trotz der Technik behauptet sich der verblüfft entdeckende Mensch, ähnlich wie eine Marionette, die allmählich zum Leben erweckt wird. Die sieben Akteure überzeugen dabei besonders durch ihre köstliche Mimik.
Neue Rhein Zeitung
Diese Technik funktioniert so perfekt (und verselbständigt sich in ihren besten Momenten immer wieder), daß der Zuschauer nicht an eine ständige Steuerung durch die Darsteller selbst glauben mag. Aber trotzdem, das Bühnengeschehen fesselt allein (…) und es bleibt die Hoffnung, daß sich Irgendwann einmal die Technik einer scheinbar perfekten Stadttheater-Inszenierung verselbständigt und den Abend zu einem echten Erlebnis macht. So wie die witzigen, spritzigen und selbstironischen achtzig „Figur und Klang im Raum“ Minuten.
Hannoversche Allgemeine Zeitung
Ein engagiertes und experimetierfreudiges Ensemble war verdienstvoll am Werke. Das Theater der Klänge setzte mit seinem achtungsgebietenden Projekt genau dort an, wo Schlemmer mit seinen Wirkungsversuchen von Geräuschen und Klängen, Bildzeichen, Sprache und Musik durch die 1928 erfolgte Verabschiedung vom Bauhaus aufhören mußte. Das war kein fertiges Stück, vielmehr ein Entwicklungsprozeß einer multimedialen Komposition, der mit jeder Aufführung zu neuen künstlerischen Entdeckungen führte. Faszinierend das kontrapunktische Zusammenspiel von Licht, Musik und Szene, wobei jedes Element autonom agierte und doch in seiner ästhetischen Wirkung und Beziehung im Raum zugleich Teil des Ganzen war. An dieser bewundernswerten Inszenierung, mit ihrer weitergefaßten Aufarbeitung und Wiederentdeckung verschüttet gebliebener ästhetischer Ansätze, lohnt es sich weiterzuarbeiten.
ZeitPunkt